Aber kann man "früher" überhaupt noch mit "heute" vergleichen?
Wenn ich zurückdenke, dann haben wir Dorfkinder sobald wir laufen konnten (und andere, ältere Kinder dabei waren) allein draußen gespielt, sind mit 9 Jahren oftmals nur kurz zum Mittagessen heim gekommen und sonst den ganzen Tag irgendwo unterwegs gewesen. Auch mit Hunden (ohne Leine...) dabei oder auf Viehweiden zwischen Schafen, Rindern oder Pferden.
Das waren aber auch Zeiten, wo generell viel mehr Leben draußen stattfand, wo wir schon allein deshalb fast immer mehr oder weniger im Blick irgendeines Erwachsenen waren, wo auch alle Dorfbewohner ganz selbstverständlich auf uns geschaut haben, die überhaupt nix mit uns zu tun hatten und sich nicht hätten kümmern müssen, wo aber eben auch jeder uns notfalls zur Ordnung rufen, schlimmstenfalls sogar Backpfeifen verteilen konnte, wenn wir Unfug gemacht haben, wo nur wenige Autos durch's Dorf fuhren (und die fuhren immer langsam, weil sie eh nur 30 PS hatten und weil jeder Autofahrer eigene Kinder und Köter auf der Straße hatte und entsprechend vorsichtig fuhr) und wo auch keine "Fremden" im Dorf unterwegs waren - und wenn, fielen die sofort jedem auf und wurden gleich aus irgendeinem Garten oder einem Küchenfenster angequatscht...
Klingt nach "Michel aus Lönneberga", war auch ein bißchen so. Wir waren sicher freier und auch früher "erfahrener" als heutige Kinder. Man konnte und musste uns mehr zutrauen - aber auch zumuten. Denn wenn wir dann mal übel vom Nachbarsesel getreten wurden oder mit dem Fahrrad im Tiefflug über den Schotter gesegelt sind und ein paar Zähne eingebüßt hatten oder uns beim Zündeln die Finger versengt, den alten Heuschober in Brand gesetzt und dafür Ohrfeigen vom Bürgermeister gekriegt hatten, dann gab es zuhause kein Mitleid und kein Geschiss, und es gab auch keine Anzeige für den Bürgermeister, sondern es gab noch zusätzlich den Hintern voll und den Standardkommentar dazu: "Das wirst du verdient gehabt haben!"
Worauf ich hinaus will: die Welt hat sich seitdem weitergedreht. Und zwar rasant. Kinder haben heute (zumindest hier in Deutschland) einfach nicht mehr die Möglichkeiten, sich so frei zu entfalten und wichtige Erfahrungen zu sammeln, die es erlauben würden, ihnen schon früh viel selbstständiges Handeln zuzutrauen. Das ist so. Aus vielerlei Gründen. Weil "der Planet" ein anderer ist inzwischen, weil Eltern ganz anders denken, weil die Gefahren andere sind, weil (die meisten) Kinder insgesamt so sehr in Watte gepackt und so extrem in den Mittelpunkt gestellt werden, daß sie ganz "anders reifen", als wir damals.
Einem 9-jährigen von damals hätte jeder den schweren "Ackergaul" an die Hand gegeben und ihn damit alleine auf die entfernte Weide oder ins Nachbardorf zu Onkel Karl geschickt. Und es wäre nix passiert - weil der Bubi den Umgang mit dem Pferd von klein auf gelernt hatte. Und wenn dann doch mal was passierte, wurde das als Unfall "hingenommen". Einzelfälle, die heute durch die Presse gehen und tagelang für Gesprächsstoff sorgen, gehörten damals - wie soll ich sagen? - "selbstverständlicher" zum Leben.